Antiziganismus in der DDR

Anlässlich einer Denkmaleinweihung für die während des Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin, veröffentlichte die Antifa Defiant einen Beitrag zum Thema Antiziganismus in der DDR, der die Gedenkkultur und den Umgang mit den Opfern, die lange Zeit, wie auch in der BRD nicht als solche anerkannt wurden, beleuchtet. Insbesondere vor dem aktuell wieder aufflammenden Antiziganismus aus den Reihen der CDU und der 20. Jährung der Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, ein interessanter und aufschlussreicher Beitrag:

Antifa Defiant, 25.10.12:

Sie wurden vergessen

“Aber keiner denkt daran, dass auch wir bittre Not gelitten haben, dass sich die Erde von Auschwitz und anderen Lagern rot von unserem Blute färbte. Warum hat man uns nur vergessen?“

Worte einer Sintezza. Worte, denen die Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern entgegensetzte, dass der Völkermord an Sinti und Roma tiefe Spuren hinterlassen habe, und noch tiefere Wunden.
Das in Berlin eingeweihte Denkmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma, trage das Schicksal des einzelnen Menschen „in unsere Mitte” und mahne an die Verpflichtung, die Würde des Menschen zu achten “und zwar in jedem einzelnen Falle“. [1]
Schlagzeilen wie “Keine Opfer zweiter Klasse“ [2] zeichnen jedoch ein Bild, dass nicht nur aktuelle Zustände schönt, sondern auch die Praxis der Entschädigungspolitik an Sinti und Roma nach dem Nationalsozialismus verzerrt, ja sogar ausspart.

Um Aktualität und Brisanz von Vorurteilen und Diskriminierungen gegenüber Romanigemeinschaften zu begreifen und angemessen thematisieren zu können, ist eine Aufarbeitung vergangener Geschehnisse jedoch unumgänglich.
Genauso wenig, wie die Geschichte des Antiziganismus mit den schrecklichen Verbrechen des Nationalsozialismus begann – wurden Sinti und Roma doch bereits 1498 für vogelfrei erklärt, war sie mit ihnen beendet.
Laut gängiger Fachliteratur bezeichnet der Begriff Antiziganismus die Feindschaft gegenüber Sinti und Roma, auf der Grundlage eines “Zigeuner-Bildes“, das aus Klischees, Stereotypen und Vorurteilen zusammengesetzt ist. In der Realität richtet sich die, aus dieser Definition resultierende antiziganistische Aggression jedoch nicht gegen das „abstrakte” Bild, sondern gegen “konkrete“ Menschen.

Antiziganismus in der DDR

Die vergleichsweise wenigen Sinti, die sich in den ersten Nachkriegsjahren in den Gebieten der DDR niederließen, kamen im Zuge großer Umsiedlungen aus Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei. Von ihnen abgesehen blieben die DDR Grenzen für den weiteren Zuzug stets streng gesperrt.
Schnell stellt sich die Frage, welche Bestrebungen ein selbsternannter antifaschistischer Staat verfolgte, um an Sinti und Roma als Opfer des Faschismus “Wiedergutmachung“ zu leisten, sollte doch “Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ die Losung und “Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“ sein Ziel sein.
In Folge hitziger Debatten fand sich schließlich ab 1950 mit den sogenannten “Richtlinien für die Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes“ eine gesetzliche Grundlage.
Ab jetzt wurde nicht mehr, wie noch in der sowjetischen Besatzungszone von Opfern des Faschismus gesprochen, sondern von Verfolgten des Naziregimes. Erstmals zählten zu diesen auch
Sinti und Roma, jedoch nur wenn sie
– wegen ihrer Abstammung in Haft waren
– nach 1945 durch das zuständige Arbeitsamt erfasst wurden
– und sich eine antifaschistisch demokratische Haltung bewahrt hatten.
Ein genauerer Blick in die Gesetzbücher macht also deutlich, dass Anerkennung in diesem Sinne für Sinti und Roma lediglich unter einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen und Bedingungen möglich war.
Als einzige Opfergruppe mussten sie Nachweise über einen festen Wohnsitz, sowie Arbeitsplatz erbringen.
Ähnlich wie die vorangegangene Anerkennungspraxis erforderte auch diese viele Nachweise und das Überwinden bürokratischer Hürden. Ausführlicher Lebenslauf, vierseitiger Fragebogen und das Erbringen von Zeugen für die eigene Inhaftierung (weil die tätowierte Häftlingsnummer nicht ausreichte), stellte viele vor kaum zu erfüllende Aufgaben.
Konnten die genannten Voraussetzungen nicht glaubhaft nachgewiesen werden, wurde die Anerkennung nicht “nur“ verweigert, sie konnte auch in Folge einer erneuten Überprüfung wieder entzogen werden. Ein “Verstoß“ gegen den sozialistischen Arbeitsethos, wie ein selbstständiges Gewerbe, konnte sogar durch den sogenannten “Asozialenparagraphen“, die juristische Legitimation dieses andauernden Rassismus, Haftstrafen nach sich ziehen.

Unter diesen Umständen erhielten bis 1966 lediglich 117 der circa 600 in der der DDR lebenden Sinti und Roma die ihnen zustehende Anerkennung als “Verfolgte des Naziregimes“.
Arten der Demütigung durch die Behörden waren vielfältig. Deshalb erscheint es kaum verwunderlich, dass einige Angehörige der Minderheit erst gar nicht den Mut fanden, Anträge zu formulieren, zumal auf Grund von vorenthaltener Schulbildung zur NS-Zeit Grundkenntnisse zu Grammatik und Ausdruck fehlten.
Statt einer bedingungslosen Würdigung des individuellen Verfolgungsschicksals wurden Angehörige der Minderheit bei der Anerkennung vielfach diskriminiert, der NS-Völkermord an ihnen ignoriert.

Von 927 geführten Verfahren zu NS Vergehen finden sich lediglich vier Urteile, in denen die Verbrechen an Sinti und Roma im Mittelpunkt standen, obwohl allein aus den Zwangslagern Berlin Marzahn und Magdeburg, die sich beide auf späterem DDR-Gebiet befinden, Tausende Angehörige der Minderheit nach Auschwitz deportiert wurden.
Wenngleich Lagerpersonal anderer Konzentrations- und Arbeitslager, wie Beispielsweise Ravensbrück angeklagt und auch verurteilt wurde, urteilte kein einziges DDR-Gericht über die Verantwortlichen für die “Zigeunerlager“.

Auch die sogenannten “Zigeunerakten“ spielten von jeher eine wichtige Rolle bei der Kriminalisierung, Ausgrenzung und letztendlich auch der Vernichtung der Sinti und Roma.
Sie wurden nicht etwa in der Erkenntnis über das an der Minderheit begangene Unrecht aus dem Behördenverkehr genommen, sondern zuständigen Polizeidienststellen als “kriminalpolizeiliche“ oder “polizeiliche Strafakten“ weiter zur Verfügung gestellt. In den kommenden Jahren bediente man sich immer wieder dieser Akten, die die wenigen überlebenden Sinti in der DDR namentlich erfassten und ergänzte sie sogar um für polizeiliche Kontrollen notwenige Informationen und Dokumente. Sinti und Roma wurden weiterhin, allein durch die Tatsache, als Angehörige der Minderheit geboren worden zu sein, kriminalisiert.

82 Denkmäler zur politischen Geschichte, 411 Gedenkstätten für den antifaschistischen Widerstandskampf , 217 Schulen, sowie 4377 Arbeitskollektive, benannt nach Widerstandskämpfern und ein Gedenkstein auf dem Friedhof Marzahn zur Erinnerung an die im Holocaust ermordeten Sinti und Roma…
…gestern ergänzt um einen “Spiegel unendlicher Trauer“. [3]

Vor dem Hintergrund der an Sinti und Roma begangenen Verbrechen hätte es im Deutschland der Nachkriegszeit die Chance gegeben, das entstandene Leid der Betroffenen zu würdigen und anzuerkennen, aber sie wurden vergessen!

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[1] http://www.taz.de/Mahnmal-fuer-Genozid-an-Sinti-und-Roma/!10 4189/

[2] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/denkmal-fuer-ermor dete-sinti-und-roma-wird-eingeweiht-a-862953.html

[3] http://www.taz.de/Mahnmal-fuer-Genozid-an-Sinti-und-Roma/!10 4189/

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