Infoabend im IkuWo: Das Gutscheinsystem als Repressionsmittel gegen Flüchtlinge
am Freitag, 27.04.2012, 20:00 im IkuWo (Goethestraße 1, Greifswald)
„Hmmm – jetzt geht das los…“ stöhnt die Verkäuferin, als ich ihr für meinen Einkauf kein Geld, sondern die Gutscheine hinhalte, die viele Flüchtlinge für Lebensmittel erhalten. „ Hier ist eine mit diesen Sozialgutscheinen- was muss ich da drücken?“ ruft sie durch den Laden zur anderen Kasse. Die weiß das auch nicht, genauso wenig wie die nächsten Mitarbeiter_innen die nacheinander per Klingel gerufen werden. „Können Sie nicht bar zahlen?“ „Nein“, sage ich, die Gutscheine laufen bald ab– Augenrollen, leises Fluchen, hinter mir wächst die Schlange, grummelnd wechseln Kunden die Kasse. Ich nehme meinen Schal ab, mir ist unangenehm warm und stickig. Mein Einkauf läuft insgesamt dreimal über das Band, ein Mitarbeiter entschuldigt sich leise für die technischen Probleme.
Was für mich ein bedrückendes aber freiwilliges Experiment war ist für viele Flüchtlinge in Greifswald Teil alltäglicher Diskriminierung und Repression. Viele sind ständig gezwungen Einkaufen als so erniedrigend zu erleben. Sie müssen auf den Cent genau rechnen, erhalten selten Rückgeld, können nur in bestimmte Läden gehen und müssen sich, teilweise ohne Deutschkenntnisse, an der Kasse rechtfertigen.
Keine Selbstbestimmung und das Gefühl zu stören. Kein Recht darauf ihr Geld selbstbestimmt einzuteilen und auszugeben.Und das zusätzlich zur Angst vor Abschiebung, eingeschränkter Bewegungsfreiheit durch die Residenzpflicht, die Ausgrenzung durch die Zwangsunterbringung in isolierten Heimen und so weiter.
Diese Festlegung finanzieller Leistungen, die Flüchtlingen nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylBlG) gewährt werden ist höchst zweifelhaft.
1993 wurde dieses Gesetz geschaffen, um Flüchtlinge durch soziale Diskriminierung abzuschrecken, zur Rückkehr zu bewegen und die Migration zu regulieren. Die dort festgelegten finanziellen Leistungen für Flüchtlinge liegen weit unter dem durch das Grundgesetz zugesicherte „menschenwürdige Existenzminimum“. Seit 1993 blieb die Leistungshöhe unverändert und wurde nicht an die steigenden Lebenserhaltungskosten angepasst. Demnach ist das Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig zu erklären und wird derzeit vom BVerfG geprüft.
Dass Flüchtlinge teilweise als Sanktionsmittel anstelle des Bargeldes vom Sozialamt Wertgutscheine ausgehändigt bekommen, wird durch dieses Gesetz ebenfalls legitimiert.
Der Vortrag soll die Hintergründe und Bedingungen sowie die ausgrenzenden Konsequenzen dieses Gutscheinsystems näher beleuchten. Weiterhin soll das von der Kommune beauftragte Unternehmen Sodexo vorgestellt werden, welches die Versorgung mit den Gutscheinen vornimmt und damit Mitprofiteur dieser rassistischen Gesetzgebung ist.
Anschließend wollen wir euch vorstellen, welche Formen des Protests es diesbezüglich gibt und darüber diskutieren, wie in Greifswald weiterhin Unterstützung und Widerstand geleistet werden kann.
Schaut vorbei und werdet aktiv gegen staatliche rassistische Praxen !
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