Ein Stückchen mehr Menschenwürde? – Bundesverfassungsgericht entscheidet Anpassung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Pressemitteilung vom 19.07.2012

Kampagne „Stop it! Rassismus bekämpfen, alle Lager abschaffen“

Am gestrigen Mittwoch verhandelte das Bundesverfassungsgericht erstmalig über die Rechtmäßigkeit des sogenannten Asylbewerberleistungsgesetzes, welches seit 1993 als ein diskriminierendes Sondergesetz die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschand auf ein weitaus niedrigeres Niveau degradiert, verglichen mit jenen deutscher Staatsbürger_innen. Die Kampagne „Stop_it! Rassismus bekämpfen, alle Lager abschaffen“ begrüßt die Entscheidungen des Gerichtes, nach denen das Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig ist und überarbeitet werden muss. Zudem müssen das bayerische Aufnahmegesetz und die Asyldurchführungsverordnung umgehend außer Kraft gesetzt werden.

 
Die Bereitschaft der jeweiligen Bundesregierungen die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland zu verbessern, wird an dem fast zwanzig Jahre langen Festhalten und Nichtüberprüfen des Asylbewerberleistungsgesetzes und nicht zuletzt am Fernbleiben der Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) von der heutigen Urteilsverkündung deutlich. „Daher befürworten wir umso mehr die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die einen umgehenden Handlungsbedarf der Bundesregierung erforderlich machen!“, so Kim Ayalan, Pressesprecherin der Kampagne. Als Begründung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zog das Bundesverfassungsgericht die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde heran. Diese sei migrationspolitisch nicht zu relativieren, so der Senatsvorsitzende des Gerichts, Ferdinand Kirchhof – eine wohlwollende und dennoch euphemistisch anmutende Äußerung angesichts der diskriminierenden Lebensrealitäten von Flüchtlingen in Deutschland. Das „Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum“ ist laut Bundesverfassungsgericht nicht vereinbar mit den bisherigen Bezügen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die gleichbleibend seit 1993 etwa 60 Prozent des gesetzlich anerkannten Existenzminimums (Hartz IV) entsprechen und zum Teil in Sachleistungen oder Wertgutscheinen ausgehändigt werden.
Außerdem beklagte das Gericht, fehlende Transparenz bei der Berechnung der Sätze. Die Angleichung des Asylbewerberleistungsgesetzes an die steigenden Lebensunterhaltskosten wären rechtlich durch Absprachen des Sozialministeriums, Innenministeriums, Finanzministeriums und des Bundesrates, jedes Jahr möglich gewesen (§ 3 Abs. 3 AsylbLG ).
Das Bundesverfassungsgericht stellte außerdem fest, dass die Leistungen nicht mit dem Ziel, „Anreize für Wanderungsbewegungen […] zu vermeiden“, unter „das physische und soziokulturelle Existenzminimum“ gesenkt werden dürfen. Dass die Unterbringung in Flüchtlingslagern „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ solle, wird jedoch in der bayerischen Asyldurchführungsverordnung explizit angeführt. Die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene sofortige Übergangsregelung entspricht einer Erhöhung der Leistungen um 30 Prozent (336 € für eine alleinstehende Person), wovon mindestens 130 € bar ausgehändigt werden müssen. Weitere Haushaltsangehörige bekommen 260 Euro. Soweit in einem Bundesland nur Gutscheine verteilt werden, muss deren Wert entsprechend steigen. In Ländern und Kommunen, in denen es im Wesentlichen Sachleistungen gibt, wie beispielsweise Esspakete in Bayern, ändert sich die Situation nicht grundlegend. Die Flüchtlinge erhalten nun jedoch ein „Taschengeld“ von 130 Euro €, anstatt derzeit 40 €.

 
Diese Leistungen gelten solange, bis der Bundestag das Asylbewerberleistungsgesetz neu beschließt. Eine Abschaffung des Gesetzes ist prinzipiell möglich, wird aber nicht ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht gefordert. „Die Regierung sollte das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Anlass nehmen, um eine generelle Abschaffung des Asylbewererleistungsgesetzes zu überdenken. Eine menschenwürdige Existenz muss unabhängig von der Staatsangehörigkeit für alle Menschen in Deutschland möglich sein. Sie wird mit einem diskriminierenden Sondergesetz wie dem Asylbewerberleistungsgesetz jedoch im Kern erstickt. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist daher nicht reformierbar, sondern muss abgeschafft werden!“, fordert Kim Ayalan konsequenter Weise.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts.

Dieser Beitrag wurde unter Aktuell veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.